Ein Frühlingsfilm im Vorfrühling
Im eiskalten Frühjahr – im April 2021 – begannen in Weimar und Umgebung die Dreharbeiten für den ARD-Märchenfilm „Zitterinchen“. Die Geschichte basiert auf einem Märchen von Ludwig Bechstein, ist also ein ganz klassisches Märchen der Biedermeierzeit. In der Geschichte geht es um zwei Mädchen, die als Schwestern verwaist und verarmt zusammenleben. Eine der beiden, Alma (gespielt von Annika Krüger) findet als Hofmalerin bei einem jungen Prinzen überraschend eine Anstellung. Der junge Prinz ist begeisterter Botaniker und arbeitet leidenschaftlich Tag und Nacht in seinem riesigen Gewächshaus an einem Almanach der exotischen Flora. Und für dieses Buch soll das Mädchen nun sämtliche Illustrationen malen und zeichnen. Gedreht wurde vor, an und in wunderschönen Originalschauplätzen in Weimar und Umgebung. Dem Weimarer Schloss Belvedere, dem Botanischen Garten Jena und den Dornburger Schlössern.
Ein ganzes Arsenal an Bildern ist gefragt
Als Szenenbildnerin Jenny Roesler (dieser Film war unsere zweite Zusammenarbeit) mir das Projekt vorstellte, war ich augenblicklich Feuer und Flamme. Und es ging nicht nur die Illustrationen der Pflanzen. Das Drehbuch erzählte auch von Unmengen von Portraits, Skizzen und anderer Zeichnungen. Eine Herausforderung war nicht allein die schiere Menge der Kunstwerke, die darauf warteten, von mir gemalt zu werden. Ich hatte dafür auch noch weniger Zeit zur Verfügung als bei anderen ebenso knappen Filmprojekten: Ich war nicht nur als freier Künstler für die Kunstwerke zuständig, sondern in der Produktion auch noch als Szenenbildassistent angestellt. Für diesen Berg an Illustrationen, Zeichnungen und Skizzen standen für mich während der Drehzeit also nur die Wochenenden und die wenigen Stunden nach Drehschluss zur Verfügung.
Illustrationen im Stil der Humboldt-Zeit – mit einer Prise moderner Frische!
Ganz besonders weil die Kunstwerke in diesem Märchenfilm eine so prominente Stellung einnehmen würden, kniete ich mich, unterstützt von Requisiteur Matthias Hohm vom Weimarer RIO-Fundus tief in die Recherche. Als Außenrequisiteurs dieses Films war er vor Regisseurin Louise Brinkmann für die Beschaffung Requisiten – und somit natürlich auch für die im Spiel vorkommenden Kunstwerke – verantwortlich. Unser Anspruch war es, einerseits historisch absolut wasserdicht zu arbeiten. So trieb Matthias Hohm beispielsweise atemberaubende originale Künstler-Farbkästen aus der Biedermeierzeit von einem bayrischen Sammler auf. Andererseits wollte ich die Illustrationen und Portraits auch so frisch und ansprechend umsetzten, dass sie auch ein junges Kinderpublikum unserer heutigen Zeit begeistern würden.
Euer Buch wird sie uns näher bringen.
Mit jeder Blüte, jedem Blatt – jedem noch so kleinen Wunder!
Reichlich Planung und Vorbereitung für Kunst im Film
Zu meinen Aufgaben als Künstler gehört es in solchen Fällen auch, selbständig alle relevanten Informationen zu den zu erschaffenden Kunstwerken aus dem Drehbuch herauszufiltern und aus diesen Listen und Notizen eine klare Aufgabenstellung zu formulieren. Diese muss natürlich mit den Vorstellungen der verantwortlich zeichnenden Szenenbildnerin und der Regisseurin konform gehen. Ich konnte mich sehr glücklich schätzen, mit Luise Brinkmann und Jenny Roesler zwei verantwortliche Personen als Gegenüber zu haben, die vollstes Vertrauen in meine Arbeit hatten und mir großen Entfaltungsspielraum für meine Kunst einräumten. Gemeinsam besprachen wir dann auch die nötigen Foto-Vorproduktionen mit den Schauspielern im jeweiligen Kostüm. Sie waren für mich nötig um auf der Grundlage dieser Fotos, die von der Regisseurin choreografiert entstanden, die Schauspieler in genau den gewünschten Posen, dem passenden Kostüm und im passenden Ausdruck portraitieren zu können.
Märchenhafte Portraits von Prinzen und schönen Bauersmädchen
Herausgekommen ist ein riesiger Stapel märchenhafter Portraits der Schauspieler Annika Krüger, Aram Arami und Flora Li Tiemann, farbenfrohe Illustrationen von verschiedensten Orchideen und ein zartes Portrait von Lale Andrä (im Märchen das Dienstmädchen der bösen Baronin), welches nicht ohne Zufall sofort an das berühmte Portrait „Mädchen mit dem Perlenohrring“ von Jan Vermeer denken lässt. Sogar eine Karikatur des Prinzen (Aram Arami, bekannt aus „Fack ju Göhte“) ist dabei, die im Film von Künstlerin Alma (Annika Krüger) in einem Moment von Frust auf den verblendeten Prinzen aufs Papier geworfen wird.
Den frischen Frühling einziehen lassen
Den Frühling haben wir als Team vom Szenenbild dann natürlich doch noch reingebracht. Nicht nur, in dem wir in vielen der Open-Air Motive sprichwörtlich mit der Astschere „den Winter rausgeschnitten“ haben. Wir bekamen zu unserem Großen Glück Zugriff auf den gigantischen Kunstblumen-Fundus einer Dekorateurin aus Bad Berka. Und mit einer gewaltigen Ladung Seidenblumen aus diesem Fundus haben wir dann unter anderem den Schlosspark von Dornburg, der noch komplett im Winterschlaf lag wachgeküsst. Und das so überzeugend, dass die Besucher, die uns natürlich während unserer Arbeit für Gärtner halten mussten, von uns wissen wollten, was wir in diesem Schlosspark anders machen würden: „Bei uns im Garten blüht nämlich noch GAR nix!“
Und wie groß war die Freude, als unser „Zitterinchen“ dann auch noch 2022 für den Preis als bester Kinderfilm beim Festival „Goldener Spatz“ nominiert wurde!
Der Märchenfilm „Zitterinchen“ startete dann mit einjähriger Verspätung im Weihnachtsprogramm 2022 und ist ein wirklich wunderhübscher Film geworden. Mit diesem Link könnt ihr euch den Film (bis zum 03.09.2025) in der ARD Mediathek ansehen. Taschentücher bereit legen!
Client: Kinderfilm GmbH / MDR / ARD
Regie: Luise Brinkmann
Szenenbild: Jenny Roesler
Technik: Rötel, Pastell, Kohle, Farbstift, Kreide, Gouache & Aquarell auf Bütten, verschiedene Papiere und Karton
Screenshots: © ARD Mediathek